Seit dem Jahr 1993 ist die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) mit einem Landesbüro in der estnischen Hauptstadt Tallinn vertreten. Das Büro wird von einer wissenschaftlichen Mitarbeiterin geleitet und ist dem Regionalbüro Baltische Staaten in Riga zugeordnet.
Gut 25 Jahre nach der Erlangung der Unabhängigkeit verfügt Estland über eine stabile Demokratie, die fest in der europäischen Gemeinschaft verankert ist. Zugleich zeichnet sich der Parteienwettbewerb in Estland durch eine große Dynamik aus und es kommt zu häufigen Regierungswechseln. Zusätzlich zu einem nur geringen Vertrauen der Bevölkerung in die politischen Parteien ist die Bereitschaft zu gesellschaftspolitischem Engagement bei der Mehrheit der Bürger_innen nur schwach ausgeprägt.
Waren anfänglich die Begleitung der politischen und wirtschaftlichen Transformationsprozesse die zentralen Handlungsfelder der FES, sieht sich das Land heute mit neuen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen aber geopolitischen Herausforderungen konfrontiert, welche sich in der Projektarbeit der FES in Estland niederschlagen. Auch wenn Estland heute als der Vorreiter und Ideengeber einer konsequenten Digitalisierungsstrategie in Europa glänzt, so sind doch die Transformationsprozesse seit dem EU-Beitritt 2004 noch nicht vollendet. Insbesondere die Implementierung des europäischen Wirtschafts- und Sozialstandards ist in weiten Teilen noch unzureichend. Zwar zählt Estland, das die geringste Staatsverschuldung in der EU ausweist, zu den wettbewerbsfähigsten Ländern Europas, allerdings hat die Einkommensungleichheit in Estland in den vergangenen Jahren stark zugenommen, die Armutsquote bewegt sich weit über europäischem Durchschnitt und das estnische "Flat-Tax-Steuersystem" eröffnet nur begrenzte Möglichkeiten einer solidarischen Wohlstandsumverteilung.
Des Themas einer wirtschaftlich nachhaltigen und insbesondere sozial gerechten Wachstumspolitik nehmen sich Politik und Sozialpartner erst langsam an, wobei die FES alle am Sozialdialog beteiligten Akteuren im Ziel der Stärkung des estnischen Sozialstaats aktiv unterstützt.
Die Außenpolitik Estlands ist, wie in den anderen baltischen Staaten, stark von Sicherheitsinteressen, insbesondere mit Blick auf Russland, geleitet. In ihrer diesbezüglichen Projektarbeit legt die FES Estland besonderen Wert auf die Fortentwicklung einer europäischen Außen- und Sicherheitspolitik sowie den Einbezug russischer Perspektiven und Vertreter in sicherheitspolitische Debatten.
Es ist das Ziel der Friedrich-Ebert-Stiftung, durch Dialogmaßnamen sowie Politikvermittlung und Politikberatung zu einer Stärkung von politischer Partizipation und Zivilgesellschaft beizutragen, den notwendigen Diskurs über eine sozial gerechte Wirtschaftspolitik anzuregen und den internationalen Dialog in Fragen der europäischen Integration Estlands sowie den Austausch über eine gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik zu fördern.